Der Wein muss rein

Der Wein muss rein

Um der Welthandelsorganisation beitreten zu können, ist Algerien zu einer weit reichenden wirtschaftlichen Liberalisierung bereit. Der Weinimport soll davon jedoch ausgenommen werden.

von Bernhard Schmid, Jungle World, 8. Dezember 2004

Der Handel mit Drogen soll auch nach Ansicht der meisten Marktliberalen nicht frei sein. Alkohol zählt allerdings für die westlichen Freihandelspolitiker nicht zu den Drogen, sein uneingeschränkter Verkauf fällt daher unter das Freihandelsdogma der Welthandelsorganisation (WTO). Aus deren Sicht ist es deshalb ein hinterhältiger, ideologisch motivierter Anschlag auf den Freihandel, dass das algerische Parlament den Weinimport verboten hat.

Im November 2003, im muslimischen Fastenmonat Ramadan, hatten die Abgeordneten erstmals ein Importverbot für Wein verhängt. Diese Entscheidung fiel vor dem damaligen Präsidentschaftswahlkampf. Sie war von den Abgeordneten der legalen islamistischen Partei Islah (Reform) vorgeschlagen worden, Zustimmung erhielt sie von Parlamentariern der gespaltenen ehemaligen Einheitspartei FLN (Nationale Befreiungsfront), die ebenfalls Stimmen bei konservativen Muslimen gewinnen wollten.

Konsequenzen für die algerischen Alkoholkonsumenten hatte der Beschluss nicht. Das Land ist selbst ein großer Weinproduzent, dessen beste Tröpfchen wie La Cuvée du Président sich auch in Frankreich größerer Beliebtheit erfreuen. Und Spirituosen, die insbesondere Angehörige der Nomenklatura schätzen, waren von dem Importverbot von vornherein nicht betroffen.

Für die WTO ist Prinzip jedoch Prinzip, und so scheiterte die Eröffnung der siebten Verhandlungsrunde über den Beitritt Algeriens, die am 25. Juni dieses Jahres beginnen sollte. Den Ermahnungen der Freihändler folgend, entschied das Parlament noch im Juni, das Gesetz vom Vorjahr wieder abzuschaffen. Doch auch der diesjährige Ramadan steigerte offenbar die Frömmigkeit der Abgeordneten: Anfang November beschloss eine knappe Mehrheit des Parlaments erneut, im Haushaltsgesetz für 2005 keine Weinimporte vorzusehen.

Die »internationale Gemeinschaft« zeigt sich inkonsequent nicht nur in ihrer Bewertung bewusstseinsverändernder Substanzen. Auch in der Frage, welche Vorschriften des islamischen Gesetzes prinzipienfeste Ablehnung verdienen, gibt es fragwürdige Prioritäten. Politiker der Europäischen Union sprachen in den letzten Monaten mit dem libyschen Staatschef Muammar al-Gaddafi, zuletzt hofierte Frankreichs Präsident Jacques Chirac den »Revolutionsführer«. Libyen hat nach 18 Jahren embargobedingter Isolation einen enormen Nachholbedarf an Investitionen für seine Infrastruktur. Nicht von Bedeutung hingegen ist offenbar, dass Gaddafis Regime heute noch autoritärer ist als in früheren Perioden. Seit 1994 wird das Strafrecht der Sharia einschließlich körperlicher Züchtigungs- und Amputationsstrafen angewendet.

Ähnlich tolerant gegenüber kooperationswilligen Regimes der Region zeigt sich die US-Regierung. Sie hat diese sich mit ihrer Greater Middle-East-Initiative seit Anfang des Jahres offiziell die Förderung »wirtschaftlicher und politischer Reformen« im Großraum von Marokko bis Pakistan vorgenommen. Für die Vertretung des mittlerweile auf den Namen Middle East Partnership Initiative (Mepi) umgetauften Programms wurde ein Büro in der Region eröffnet. Als Sitz erwählte man Tunesien, das Europäern wie US-Amerikanern vor allem wegen seiner außerordentlich starken wirtschaftlichen »Öffnung« für westliche Interessen als eine Art Musterstaat gilt. Immerhin ließ sich Präsident Zine el-Abidine Ben Ali kürzlich mit offiziell 94,5 Prozent zum vierten Mal wählen. Man kann darin einen demokratischen Fortschritt erblicken, denn bei den vorangegangenen Wahlen hatte er immer mehr als 99 Prozent erhalten.

Die Wertschätzung für ein Land oder ein Regime richtet sich vor allem nach seiner Funktionalität unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftsbeziehungen, ungeachtet der teils divergierenden Interessen von EU und USA. Ein wichtiger Maßstab dafür ist der Beitritt zur WTO. Der US-amerikanische Strategieexperte Walter Russel Dean hat die WTO-Mitgliedschaft bei einem Vortrag im April in der Niederlassung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Algier explizit zu einem wichtigen Kriterium für die Beurteilung der »Reformen« in jedem Land der Region erhoben. Die FES bietet derzeit in Algerien ein Forum für die Propaganda der Interessen der diversen westlichen Staaten. Sie organisiert fast jede Woche öffentliche Debatten, bei denen sich alles drängelt, was in der algerischen Politik Einfluss haben will.

Bereits 1998 hat Algerien einen ersten Antrag auf Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation gestellt. Die Spielregeln der WTO sehen vor, dass jeder Aufnahmekandidat so genannte Liberalisierungsangebote unterbreitet, die er dann später als Mitgliedsland erweitern soll. Darauf können die anderen Staaten eingehen, indem sie entweder ihrerseits denselben Sektor für die internationale Konkurrenz öffnen oder aber, wenn sie bestimmte Belange den Marktmechanismen entzogen sehen wollen, andere Bereiche freigeben.

Am Dienstag vergangener Woche reiste der algerische Minister für Investitionsförderung, Noureddine Boukrouh, nach Genf, wo die Verhandlungen über den algerischen Beitritt wieder aufgenommen wurden. Nach Angaben der algerischen Tageszeitung La Tribune hat Algerien bislang bereits 1 500 Verpflichtungen zur wirtschaftlichen Liberalisierung akzeptiert. Algerien ist mit einer Gruppe von 40 WTO-Mitgliedsländern im Gespräch, wobei einem Artikel der algerischen Zeitung Le Matin von Mai 2003 zufolge vor allem die USA, Kanada sowie Polen eine Schlüsselrolle in den Verhandlungen spielten.

Zur Förderung des Wettbewerbs soll Algerien unter anderem das Gesetz abschaffen, das Pharmakonzerne dazu verpflichtet, nach drei Jahren Importtätigkeit im Land zu investieren, um dort Arzneimittel herstellen zu können. Bislang weist Algerien noch ein relativ gutes, wenngleich mit unzureichenden Mitteln ausgestattetes Gesundheitssystem auf, gibt je doch jährlich eine halbe Milliarde Dollar für den Import von Medikamenten aus.

Zu den Aufforderungen, die vor der siebten Verhandlungsrunde an Algerien ergingen, gehört auch die Forderung nach der Beendigung der Subventionen für die Energiepreise. Noch liefert der erdöl- und erdgasreiche Staat seinen BürgerInnen die Produkte aus diesen Rohstoffen zu einem Zehntel des Weltmarktpreises, da wesentlich höhere Steuern auf ihren Export als auf den Binnenkonsum erhoben werden. Das soll nun ein Ende haben. In einem Land, in dem der gesetzliche Mindestlohn umgerechnet rund 100 Euro monatlich beträgt, dürfte das zu Protesten führen.