Ende des islamistischen Maquis?

Ende des islamistischen Maquis?

Zahl der bewaffneten Islamisten in Algerien auf rund 1000 geschätzt

Von Anton Holberg, rbi-aktuell Online-Zeitung 24.9.2005

Algeriens Ministerpräsident Ahmad Ouyahia bezifferte jüngst, wie die algerische Tageszeitung « Expression » berichtete, die Zahl der noch aktiven Mitglieder bewaffneter Islamistengruppen im Land auf rund 1.000. Das sei ein deutlicher Rückgang gegenüber den vergangenen Jahren. Er drückte die Hoffnung aus, daß bis zum 29. September noch eine größere Anzahl das Amnestieangebot annähmen und freiwillig aus dem Maquis kämen. Präsident Abdelaziz Bouteflika hatte im August angekündigt, daß am 29. September eine Volksabstimmung über eine « Charta für Frieden und Versöhnung » stattfinden werde, die dem inzwischen über10 Jahre andauernden Blutvergießen im Land ein Ende bereiten solle. Der Entwurf der Charta sieht unter anderem vor, daß die islamistischen Terroristen, die sich freiwillig den Behörden stellen, gerichtlich nicht weiter verfolgt werden. Der Ministerpräsident drückte die Hoffnung aus, daß sich vor dem Stichtag noch mindestens 300 bewaffnete Islamisten stellen werden. Vom Mai bis Juli h ¤tten sich 40 Terroristen ergeben.

Die Islamisten waren 1992 in den bewaffneten Untergrund, oder nach dem französischen Wort für das Gestrüpp in den Bergregionen « Maquis », gegangen, nachdem sich innerhalb des algerischen Militärs als politisch ausschlaggebendem Faktor der letztlich aus dem nationalen Befreiungskampf siegreich hervorgegangenen Oligarchie die Fraktion der « radicateurs », der « Ausrotter » durchgesetzt hatte. Diese war nicht zu einer Machtteilung mit der aus den Parlamentswahlen von 1991 als Siegerin hervorgegangen « Islamischen Rettungsfront »(FIS)bereit und organisierte kurz vor dem 2. Wahlgang am 11.1.92 einen Staatsstreich, um deren Machtübernahme zu verhindern. Nach offiziellen Angaben hat der darauf folgende Bürgerkrieg 150.000 Menschen das Leben gekostet, weitere Tausende Verwundete und Hunderte von Zivilisten hinterlassen, die verschwunden sind, sowie zu Schäden an Infrastruktur und Eigentum im Wert von 20 Milliarden US Dollar geführt.

Ob dem Wunsch des Regimes, mit dem 29.September den islamistischen Terrorismus endgültig zu besiegen, Erfolg beschieden sein wird, sei noch dahingestellt. Allerdings stehen die Chancen dafür besser als lange zuvor.

Der Islam und auch seine politische – islamistische – Spielart gehört zwar seit jeher zur algerischen Wirklichkeit, gerade auch während des nationalen Befreiungskrieges zwischen 1954 und 1961. Zur politischen Massenbewegung wurde er jedoch erst im Zuge des Legitimationsverfalls der Staatspartei, der « Nationalen Befreiungsfront » (FLN).Nach ihrem Sieg über den französischen Kolonialismus erwies sie sich nicht nur als zunehmend korrupt und als politisches Organ einer sich herausbildenden Oligarchie. In den 80er Jahren konnte sie auch zunehmend weniger die wirtschaftlichen Grundbedürfnisse breitester Teile der Bevölkerung befriedigen. In dieser Situation gewann eine als arabischsprachige gegenüber der herrschenden francophonen benachteiligte Gegenelite mit Hilfe des soeben auch durch die iranische Revolution und den Zusammenbruch des « sozialistischen » Lagers in Mode gekommenen islamistischen Appells eine breite Basis in der zunehmend verelendeten Bevölkerung. Zu Beginn jenes Jahrzehnts trat im übrigen erstmals eine bewaffnete islamistische Organisation in Erscheinung, die aber bald aufgerieben wurde.

Die Jugend der Elendsviertel bildete denn auch zusammen mit einigen hochideologisierten Kadern, darunter eine Reihe von « Afghanen », d.h. Algeriern, die in Afghanistan im Jihad gegen die Rote Armee und die afghanischen « Kommunisten » gekämpft hatten, das Rückgrat der verschiedenen Guerillagruppen, die sich nach dem Staatsstreich gegen eine FIS-Regierung formierten. Dazu kamen eine nicht unerhebliche Zahl von Kriminellen, ihrerseits oft Produkte des sozio-ökonomischen Niedergangs des Landes.

Zur Zeit des Höhepunktes ihres Wirkens 1994 scheinen die verschiedenen islamistischen Guerillaorganisationen, darunter die der FIS verbundene AIS (Islamische Rettungsarmee) sowie die unabhängigen GIA (Bewaffnete Islamische Gruppen) der Armee zufolge 27.000 Kämpfer und anderen Quellen zufolge unter Einschluß der Logistik 40.000 Mitglieder gehabt zu haben. Deren Zahl schrumpft jedoch bereits ab 1996 deutlich.

Zu den Gründen dafür gehören nicht nur die oft äußerst brutalen Gegenmaßnahmen der Armee und der Aufbau von ihr kontrollierten ziviler bewaffneter Selbstschutzgruppen, sondern vor allem auch die Abwendung breitester Teile der einst aus Abscheu vor dem Regime mit ihnen sympathisierenden Bevölkerung. Diese war einerseits schon bald von den lokalen Regierungen der FIS vor 1992 enttäuscht, die in erster Linie ihre Anhänger in bestehende Jobs hievte, und mehr noch verschreckt durch die zunehmend gewalttätig erzwungene Beachtung religiöser Verbote. Dazu gehörten nicht nur solche wie das Verbot, Alkohol zu trinken, Fernsehen zu schauen, Dame zu spielen oder das für Frauen, sich unverschleiert in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wichtiger waren oft Verbote wie das, daß Frauen keiner außerhäuslichen Arbeit nachgehen durften, obwohl die ansonsten recht konservativen Familien genau darauf in hohem Maße angewiesen waren. Letztlich ausschlaggebend jedoch war, daß die bewaffneten Gruppen, insbesondere die GIA nach dem Waffenstillstand zwischen AIS und Armee, angesichts der schwindenden Unterstützung durch die Bevölkerung begann, diese als « Ungläubige » und « Feinde » zu behandeln und Massaker mit Hunderten von Toten an ihr veranstalteten.

Die Politik des Regimes, einerseits mit großer Härte gegen den islamistischen Maquis vorzugehen und andererseits Amnstieangebote zu machen, zunächst unter Präsident Liamine Zeroual und dann seit dem Machtantritt Bouteflikas, des langjährigen Außenministers zur Zeit der Präsidentschaft Houari Boumediennes, 1999, hat unzweifelhaft Erfolge verzeichnet. Zwischen 1995 und 1998 waren Regierungsangaben zufolge bereits 4.000 Kämpfer aus dem Maquis gekommen und seitdem weitere 6.000.

Auf Grund der positiven Entwicklung der Preise für Erdöl und Erdgas, Algeriens mit großen Abstand vor allen anderen wichtigsten Einnahmequelle, steht das Land und damit das Regime zur Zeit besser dar als noch vor wenigen Jahren.

Auch die Haltung der imperialistischen Staaten zum Regime und zur islamistischen Bewegung hat sich gegenüber den frühen 90er Jahren verändert. Damals – nicht lange nach der vertrauensvollen Zusammenarbeit speziell der USA mit der internationalen islamistischen Bewegung in Hinblick auf Afghanistan – gab es noch starke Stimmen, die für eine « islamisch-kapitalistische » Perspektive in Algerien eintraten, mit anderen Worten für einen Kompromiß zwischen der FIS und dem Regime. Angesichts des späteren unter dem Namen « Al Qaida » zusammenfaßbaren Phänomens und der militärischen Erfolge der « radicateurs » sind diese Stimmen im imperialistischen Lager und gerade auch in den USA, die hier zunächst in Konkurrenz zu Frankreich agierten, weitestgehend verstummt.

Die von Präsident Bouteflika angebotene Amnestie, die im übrigen ausdrücklich Beteiligte an Massakern – soweit es sich um Islamisten und nicht etwa Armeekreise handelt – ausschließt, dürfte allerdings den ideologischen harten Kern der GIA und der « Salafistischen Grupppe Predigt und Kampf » (GSPC), einer in den letzten Jahren entstandenen « Al-Qaida » zugeordneten bis in den Sahel außerhalb der algerischen Grenzen hin aktiven Gruppe, wenig beeindrucken. Ob diese in Zukunft erneut eine breitere Basis gewinnen werden, hängt eng mit der wirtschaftlichen Zukunft Algeriens zusammen.