Deutschlandbesuch des algerischen Staatspräsidenten Bouteflika

Presseerklärung

Deutschlandbesuch des algerischen Staatspräsidenten Bouteflika

PRO ASYL: Außenminister Fischer muss kritische Fragen zur
Verwicklung des algerischen Staates in den Terror stellen

Pro Asyl, 31. März 2001

Der algerische Staatspräsident Bouteflika wird sich am Montag und Dienstag nächster Woche in Deutschland aufhalten. Vorgesehen sind u.a. Gespräche mit Bundespräsi-dent Johannes Rau, Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bundesaußenminister Joschka Fischer und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin. PRO ASYL kritisiert die Zu-sammentreffen auf höchster Ebene als eine unnötige Aufwertung der algerischen Re-gierung in einer Zeit, in der die Beteiligung algerischer Militärs an schwersten Men-schenrechtsverletzungen endlich öffentlich wahrgenommen wird. PRO ASYL fordert von allen Gesprächspartnern Bouteflikas, insbesondere von Außenminister Fischer, die Verantwortlichkeit der algerischen Armee für Massaker zu thematisieren und sich für die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission zur Menschenrechtssi-tuation im Lande einzusetzen.

In Bouteflikas Amtszeit fällt die Verabschiedung eines Amnestiegesetzes « zur zivilen Eintracht », das auch zur Folge hat, dass sich die mutmaßlichen Protagonisten des « schmutzigen Krieges » in der algerischen Armeeführung nicht für ihre Verbrechen ver-antworten müssen. Der algerische Staatspräsident ist auch heute noch umgeben von Generälen, denen von Menschenrechtsorganisationen eine Verantwortung für den staatlichen Anteil am Terror nachgesagt wird. Bekannt ist, dass sich der Generalstabs-chef der algerischen Armee, Mohamed Lamari, im Februar unbehelligt in Stuttgart aufhalten konnte. Viele der Massaker, bei denen es Hinweise auf eine Beteiligung der algerischen Armee gibt, fallen in seine Dienstzeit.

Der aktuelle Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. Oktober 2000 zur asylrele-vanten Lage vertritt ungebrochen die Ansicht, der Terror in Algerien sei im wesentli-chen den islamistischen Gruppen zuzurechnen. Die « Sicherheitskräfte » werden dem-gegenüber in geradezu absurder Weise exkulpiert. (s. Anlage « Zum Hintergrund »)

Eine politische Verantwortung hat die Bundesregierung nach Auffassung von PRO ASYL insbesondere gegenüber den algerischen Flüchtlingen in Deutschland. Denn wenn Staat und Terror in Algerien eng miteinander verquickt waren, und möglicher-weise noch sind, dann hätten viele Algerier in Deutschland Asyl erhalten müssen. Das Gegenteil ist der Fall. (Im Jahr 2000: 1893 Asylentscheidungen des Bundesamtes, da-von zwei Asylanerkennung gem. Art. 16 a GG. Fünf Personen erhielten das « Kleine Asyl » gem. § 51 Abs. 1 AuslG). Den meisten Algerierinnen und Algeriern wurde Asyl verweigert mit der zentralen Argumentation, der Terror nichtstaatlicher Verfolger – al-so der Islamisten – sei kein Asylgrund, der algerische Staat selbst im Prinzip schutz-willig. Im Asylverfahren abgelehnte Algerierinnen und Algerier werden bereits auf deut-schen Flughäfen von algerischen « Sicherheitskräften » übernommen. Diese Kooperation mit dem algerischen Regime kritisiert PRO ASYL seit 1997.

PRO ASYL-Sprecher Heiko Kauffmann: « Höchstrangige Gesprächspartner für einen ja-nusköpfigen Staatspräsidenten, freie Einreise für mutmaßliche führende Menschen-rechtsverletzer aus dem Kreis der algerischen Generäle und die Abschiebung algeri-scher Flüchtlinge in die Hände durch die Vergangenheit belasteter ‚Sicherheitskräfte’ – das geht nicht zusammen. »

gez. Heiko Kauffmann
Sprecher von PRO ASYL

Anlage

Zum Hintergrund

Auszug aus dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 10. November 2000, in dem weiterhin die Ansicht vertreten wird, im wesentlichen sei der Terror den islamistischen Gruppen zuzurechnen. Seit 1995 vorliegende Hinweise auf eine aktive Beteiligung des algerischen Staates am Terror werden dort auf folgende Weise thema-tisiert: « Vor allem in den frühen Jahren des Kampfes gegen die terroristischen Kräfte sind die Sicherheitskräfte bei Anschlägen gelegentlich gar nicht oder zu spät eingeschritten. Vorwürfe von Menschenrechtsorganisationen, dass dies auf höhere Weisung erfolgt sei, lie-ßen sich weder beweisen noch widerlegen. Der algerische Generalstabschef hat diese Gerüchte dementiert: Unter anderem sei die Armee durch gesteuerte Fehlinformationen nicht rechtzeitig unterrichtet worden. Ein Grund für spätes Eingreifen der Sicherheitskräfte in dieser Zeit kann auch an der nach sowjetischem Vorbild aufgebauten, schwerfälligen und hierarchischen Kommandostruktur sowie unzureichender Ausbildung und Bewaffnung für Antiterroroperationen liegen. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Sicherheitskräfte wurde in-zwischen durch neue mobile Einsatzkommandos gesteigert. »

Sich bei den höheren Rängen der algerischen Armee über solchen Sachverhalt zu in-formieren, gehört beim Auswärtigen Amt seit jeher zum guten Ton. So hieß es etwa im Lagebericht vom 8. Juli 1998, in dem ein seit 1994 anhaltender Demokratisierungs-prozess in Algerien behauptet wurde: « Gerüchte, dass die Armee bei terroristischen An-schlägen auf höhere Weisungen nicht eingegriffen habe, ließen sich nicht bestätigen, auch wenn sie in Teilen der Bevölkerung große Resonanz fanden. Der Generalstabschef hat die-se Gerüchte dementiert…. »

In diesen Kontext gehört es, dass auf der offiziellen Homepage der Bundesregierung mit der Ankündigung des Staatsbesuches von Präsident Bouteflika der damalige Staatsminister im Auswärtigen Amt Dr. Hoyer erwähnt ist, der in den « Krisenjahren bis 1998 » die politischen Kontakte mit Algerien weitergeführt habe. Der hatte sich an der Exkulpierung der algerischen Armee nach einem Blitzbesuch am Ort des Massakers von Bentalha aktiv beteiligt. Im Sommer 1997 waren dort 400 Menschen abgeschlach-tet worden. Sehr schnell hatte es Hinweise gegeben, dass sich die algerische Armee entweder absichtlich passiv verhalten habe oder gar an den Massakern selbst beteiligt gewesen sei. Staatsminister Hoyer äußerte damals nach einem nächtlichen Blitzbe-such im gepanzerten Privatwagen des Befehlshabers algerischer Antiterrortruppen, entsprechende Vorwürfe seien haltlos. Er sprach unter anderem vom dummen Gerede aus Deutschland.

Das vor kurzem in Frankreich erschienene Buch « Qui a tué à Bentalha? » (« Wer tötete in Bentalha? ») von Nesroulah Yous, einem Überlebenden dieses grausamen Gemetzels, hat nicht die ersten Belege für die Schuld der Armee geliefert und in Frankreich eine öffentliche Debatte über die französische Algerienpolitik ausgelöst. In einem offenen Brief haben französische Intellektuelle die französische Regierung vor einer Kompli-zenschaft bei Verbrechen gegen die Menschheit gewarnt.

Weitere Informationen auf der Homepage von algeria watch unter www.algeria-watch.de