Jacques Chiracs Algerien-Besuch und der Kampf gegen den Terrorismus

Die Bulldozer von Bab El-Oued

Jacques Chiracs Algerien-Besuch und der Kampf gegen den Terrorismus

STANDARD-Korrespondent Stefan Brändle, 5. Dezember 2001

Algier/Paris – « Allons! Gehen wir zwei, drei Hände schütteln », sagt Jacques Chirac und schiebt die Leibwächter zur Seite, die hier in Bab El-Oued nicht nur wegen der Sonne schwarze Brillen tragen. Frankreichs Präsident lässt auch seinen algerischen Kollegen Abdelaziz Bouteflika stehen. Der schaut süßlich lächelnd zu: Als er nach dem sintflutartigen Regen Mitte November selbst das Arbeiterquartier von Algier aufsuchte, wurde er ausgepfiffen.

Chirac ist hingegen das Mitgefühl in Person. Das malträtierte Volk dankt es ihm, schwenkt Algerien- und Frankreich-Fähnchen und küsst dem hohen Gast die Hand. Mehr als 750 Tote forderte das Unwetter des 10. November. « Ich verlange eine Schweigeminute », deklariert Chirac vor den Absperrungen um den Triolet-Platz, der unter einer meterdicken Schlammschicht begraben ist, wo Feuerwehrleute Leichen bergen und orange Bulldozer entwurzelte Bäume aus dem erstarrten Lehm zerren. Langsam breitet sich der präsidiale Wunsch über die ruhiger werdende Menschenmenge aus; Chirac steht mit hochgerecktem Kinn da. Neben ihm Bouteflika, mehr als einen Kopf kleiner und sprachlos ob des präsidialen Bulldozers aus Paris, dem die Algerier zujubeln.

Beim Spital Durante verspricht der Gast spontan medizinische Wiederaufbauhilfe. Spontan? Ein Elysée-Pressemann verteilt an die Journalisten gleich die Liste der medizinischen Apparate, die Frankreich spenden wird. Der Gang durch Bab El-Oued war offenbar genau inszeniert.

Allzu euphorisch auch wirken einzelne Fähnchenschwinger – zumindest verglichen mit dem Sprechgesang junger Burschen: « Bab el-Oued, Chouayaddah (Märtyrer) », skandieren sie, wie vor zehn Jahren die FIS-Islamisten, die nach ihrem abgewürgten Wahlsieg in dem rebellischen Armenquartier Zuflucht vor dem Militärregime gefunden hatten.

Jetzt bezieht sich der Refrain eher auf die Unwetterfolgen, die der behördliche Schlendrian noch verschlimmert hat. Die Islamisten bleiben in Bab El-Oued gewiss populär, nicht zuletzt, weil sie den Obdachlosen mit Kost und Logis beistehen. Doch ein Bin Laden scheint bei den Jugendlichen nicht so hoch im Kurs zu stehen, wie man es erwarten könnte.

« Gebt uns Visa! »

Die Menschen hier haben nur noch einen Traum: « Visa! Gebt uns Visa nach Frankreich! », rufen sie Chirac zu. Der aber steigt schon wieder in seine dunkle Limousine und prescht in einer riesigen Staubwolke davon.

Später, bei einer Pressekonferenz, drückt er sich dafür um so inniger für die in Frankreich lebenden und arbeitenden Algerier aus, die fast alle den Doppelpass haben und « Teil unseres Fleisches sind ». Noble Worte – natürlich bar jeder Hintergedanken vor den kommenden Präsidentschaftswahlen. Nein, Chiracs Blitzreise durch Tunesien, Marokko und Algerien diente nach seinen Worten dazu, « die Kooperation gegen den internationalen Terrorismus zu verstärken ».

Die erste Algerien-Visite eines französischen Präsidenten seit 1989 wurde möglich, weil man seit dem 11. September beiderseits des Mittelmeers das gleiche Ziel hat: den islamistischen Terrorismus « auszumerzen » (Chirac). Dieses Wort ist seit Jahren Programm für das algerische Regime – ein Regime, dessen Brutalität und Korruption in Europa bis vor kurzem noch als mitschuldig am Aufschwung der Islamisten gegolten hatte.